Süddeutsche Zeitung, 5. August 2020, Nr.179, Sabine Reithmaier
„Eigenartig, diese Waggons. Durch den Glaspalast windet sich ein Zug aus Metallcontainern, bis zum Rand angefüllt mit gammligen Fundstücken. Hinter den engmaschigem Gitterwänden stapeln sich Kunststoffplanen, Strandmatten, Kabel, Schaumstoffblöcke, Plastikblumen – was der Mensch halt so wegwirft und was häufig aus dem Meer gefischt wird. „Tank“ hat die Augsburger Künstlerin Anja Güthoff die Installation genannt, eine trotz allen Mülls ästhetische Assemblage, die natürlich gut in die Ausstellung „The Blue Planet“ passt. Denn sämtliche hier gezeigten Werke thematisieren unseren Umgang mit dem Lebensraum Erde.
Sie tun das auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Manchmal sogar sehr humorvoll. Das amerikanische Künstlerinnen-Duo Barbara Ciurej und Lindsay Lochmann steuern „Katastrophen-Rezepte“ bei. Die beiden haben ein originales Kochbuch aus den Fünfzigerjahren umgeschrieben, bieten als Dessert zum Beispiel „Rainforest-Flambé“, „Baked Alaska“ oder „California Crispies“. Dazu servieren sie auf bunten Papptellern Nasa-Satellitenbilder von Naturkatastrophen. Das erleichtert es, die überwältigende Menge an Daten zu konsumieren und sie zumindest geistig bequem zu entsorgen, ein feiner Seitenhieb auf die Wegwerfgesellschaft, die sich nicht allzu lang mit den Gedanken an CO₂-Ausstoß und die damit verbundene Klimaerwärmung belasten mag. Wer will, kann auf einem Tisch die „Recipes for Disaster“ durchblättern und sich dazu direkt auf den blauen Planeten setzen.
Quer durch die Ausstellung gestreut sind Aufnahmen aus verschiedenen Serien des in München lebenden Fotografen Olaf Otto Becker. 1959 in Lübeck geboren, erzählt er schon seit vielen Jahren und meist poetisch die Geschichte von der Zerstörung der Natur. Becker dokumentiert genau, welche Spuren menschliche Überbevölkerung in der Natur hinterlässt, hat illegale Abholzaktionen in Indonesien festgehalten, aber auch jahrelang schmelzende Berge im angeblich ewigen Eis von Grönland fotografiert. Gerade diese Bilder, die sich zwischen Himmel, Meer, Eis und Nebel bewegen, leben von Weiß- und Grauschattierungen. Ganz anders die fast surreal anmutende Aufnahme des Cenote Maya auf der mexikanischen Yucatan-Halbinsel. In der gewölbten Höhle des Kalksteinlochs schwimmen und klettern Menschen herum, rastlos auf der Suche nach einem zweifellos ganz besonderen Event.
Nach Patagonien an die Südspitze Südamerikas ist Magdalena Jetelová gereist, genau dorthin wo die Pazifische Platte auf andere Kontinentalplatten trifft. Trennlinien, Grenzen und ihre Sichtbarmachung sind schon lange ein Thema der in Tschechien geborenen Künstlerin. In „Pacific Ring of Fire“ zieht sie exakt den Verlauf der tektonischen Platten nach. Eine aufwendige Angelegenheit, denn die Linien hat sie nicht nachträglich eingefügt, sondern sie fuhr mit dem Schiff die Küste entlang und zeichnete sie von dort mit dem Laserstrahl für Sekunden ins Eis, schrieb zudem Texte ins Dunkel der Nacht. Das Ergebnis sind faszinierende Foto-Leuchtkästen, in denen die Lichtspur inmitten einer dämmrigen polaren Landschaft glimmt.
Der französische Fotograf Charles Xelot hat sich in „There is gaz under the tundra“ auf die Yamal-Halbinsel in Nordwest-Sibirien konzentriert. Dort befindet sich eines der größten Gasfelder der Welt, das ständig weiter erschlossen wird. Xelot dokumentiert die sich verändernde Landschaft, zeigt, wie die Tundra heute bedeckt ist von Pipelines und Leuchtmarkierungen.
Um Menschen geht es dagegen der brasilianischen, in Athen lebenden Künstlerin Andrea Motta. Sie hat in ihren „1st Moments in Greece“ Geflüchtete porträtiert, die gerade auf der Insel Lesbos angelandet sind. Lauter markante Einzelporträts, die unmissverständlich klarmachen, dass Flüchtlinge nicht, wie oft in den Schlauchbootbildern vermittelt, nur Teil einer Massenbewegung sind.
Außergewöhnlich ist auch Elham Roknis Videoarbeit „The Seven Abdulkarims“, eine Mischung aus Fiktion und Realität. Die in Tel Aviv lebende Künstlerin, 1980 geboren im Iran, sammelt seit 2015 mündlich überlieferte Märchen von Flüchtlingen aus Sudan und Eritrea. In einer visuellen Sprache, die Dokumentarfotografie, inszenierte Szenen, Zeichnungen und Animationen kombiniert, verbindet sie die gesammelten Erzählungen miteinander, verarbeitet Erinnerung und Emotionen auch durch die Linse extremer Alltagssituationen. Erzählt wird von sieben Männern, jeder mit Namen Abdulkarim, die versuchen, von ihrer Heimat Sudan aus Libyen zu erreichen. Alle sterben, bevor sie ihr Ziel erreichen.
Wer nach all diesen Bildern sofort aktiv Naturschutz betreiben möchte, ist bei Edgar Honetschläger genau richtig. Seine Rauminstallation „GoBugsGo“ besteht aus 339 Weckgläsern auf einer langen Holztafel sowie kleinen signierten Grafiken. 2019 hat der österreichische Künstler den gleichnamigen Verein gegründet, nachdem ihm im Sommer 2017 in Italien plötzlich aufgefallen war, wie still es um ihn war. Er hörte weder Insekten noch Vögel noch Zikaden. Das Ziel von „GoBugsGo“: Land kaufen, das der Natur überlassen wird, damit sich Insekten, Vögel und andere Tiere wieder ansiedeln können. Inzwischen hat der Verein mehr als 100 Mitglieder, Land wurde gekauft. Und Ausstellungen sind eine gute Möglichkeit, Besucher zu animieren, selbst aktiv und ein „Buggy“ zu werden.“