Wunderkammer

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Ein Dschungel im Wohnzimmer

Richard Mayr, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr.108, 2013

„Die Künstlerin Anja Güthoff richtet in der Neuen Galerie im Höhmannhaus eine »Wunderkammer« ein. Ein Raum, in dem Kunst und Gegenstände verschmelzen. Die Kuriositätenkabinette waren gestern. Es waren Räume, in denen der Adel seine Sammlungen präsentierte, Kunsthandwerk und Kunst, archäologische Objekte und Dinge aus der Neuen Welt, Waren und Rüstungen, alles nebeneinander, genauso, wie es auf der Welt vorkommt. Dieses Ausstellungskonzept der Frühen Neuzeit wurde im auslaufenden 19. Jahrhundert durch spezialisierte Museen abgelöst, in denen die einzelnen Gegenstände für sich wirken sollten. Die Künstlerin Anja Güthoff, die an der Fachhochschule Augsburg Kommunikationsdesign studiert hat, geht nun zurück in der Geschichte und verwandelt nicht nur im Ausstellungstitel die Neue Galerie im Höhmannhaus in eine »Wunderkammer«.

Wer hineingeht, dem quellen buchstäblich die Augen über, eine solche Fülle findet sich an den Wänden: Sekretäre, Beistelltischchen und Vitrinen, Glasgefäße voller Muscheln, Skulpturen und Porzellanvögel, Aquarelle, Gemälde und eine Videoarbeit. Dies alles wird so konsequent dicht präsentiert, dass die einzelnen Gegenstände erst einmal mühsam herausgesucht werden müssen. Und dem Betrachter stellen sich von Anfang an Fragen: Geht es um die Kunst, die inmitten der anderen Gegenstände versteckt wird? Geht es um den Raum als groß angelegte Installation? Oder geht es am Ende auch noch um etwas völlig anderes? Vielleicht alles auf einmal. 

Im Gegensatz zu den historischen Kuriositätenkabinetten hat Güthoffs Wunderkammer ein durchgängiges Hauptthema: Dieses prall gefüllte Galerie-Wohnzimmer entpuppt sich nämlich als Dschungel – quer durch alle Stücke zieht sich die Natur als Leitfaden hindurch. Das, was sonst draußen ist, hat Güthoff in vielen verschiedenen Objekten und mit ihren Kunstwerken nach drinnen geholt. Und wenn die gesammelten Gegenstände ein Abbild der Natur geben, dann gehen Güthoffs abstrahierte, teilweise auch gegenstandslose Aquarelle und Gemälde, einen Schritt weiter, als ob sie die Ur-DNA der Natur, das Wachsen und Vermehren, also die Essenz der Schau freilegten, die Lebenskräfte, welche die Natur ausmachen. Güthoff sagt damit auch, dass das Schöpferische immer schon da ist, dass der Künstler nicht aus sich heraus erfindet, sondern dass er in sich und der Welt findet. 

Häufig kehrt in diesem zentralen Raum der Ausstellung auch das Affenmotiv wieder – das Wesen, das wie kein anderes zwischen Tier und Mensch steht: der präparierte Affe, der in einen Spiegel blickt; gemalte Affengesichter, die auf dem Weg sind menschliche Porträts zu werden; und Arbeiten, die von Affen selbst stammen. In einem Versuch hat Anja Güthoff zum Beispiel dem Schimpansenmännchen Coco aus dem Augsburger Zoo Zeichenkohle und weißes Papier gegeben. Auf einem Video ist zu sehen, wie Coco beginnt zu zeichnen und nach einer Weile damit wieder aufhört. Mit den Schimpansen-Blättern (wild auf dem Blatt verteilte Linien) wird das Motiv der schöpferischen Natur auf die Spitze getrieben und gleichzeitig mit der Kreativität des Menschen verschränkt. Nach der Wunderkammer, der durch und durch gelungenen Hauptattraktion dieser Schau, gibt es in den beiden weiteren Ausstellungsräumen noch weitere Arbeiten von Güthoff zu sehen, die sich thematisch anschließen. In einer Installation zum Bei- spiel legt die Künstlerin über ein Lager – markiert durch Bambusstäbe, Palmblätter und Decken – mit Projektoren den Dschungel als Schattenriss. In dieses Geflecht aus Formen tritt nun der Betrachter auch als Schatten ein, wenn er sich dem Lager nähert. Natur ist hier das Flüchtige, das Wechselnde, und das, was ein wenig länger bleibt, ist das von Menschenhand Gemachte. 

Zu sehen sind auch noch Stuhlbilder, die in vielen Variationen eine schemenhafte affenartige Figur zeigen, die einen Stuhl erkundet, sowie die Fortführung des Motivs, in der ein Affe mit seinem Spiel um den Stuhl dargestellt wird. Darin stellt Güthoff auch eine kritische Frage an die Gegenwart. Wie weit ist die menschliche Aufenthaltsform des 21. Jahrhunderts – das dauerhafte Sitzen – entfernt von den natürlichen Ursprüngen, die überall in der Schau thematisiert werden? Und was bedeutet dann Zivilisation?“