10.15, 10.17, 10.22

gersthofen

Das Gezeigte und das nicht Gezeigte.

Begründung der Jury, Thomas Elsen, Gersthofen, 2016

„(…) Die Fotografien zeigen – durch den malerischen Eingriff quasi in den Bildhintergrund gerückt – einen stehenden Mann, der den Arm auf den Rücken eines neben ihm stehenden Stuhls lehnt, ein aufgeschlagenes Buch in der Hand hält. Erscheinung und Kleidung der Person, wie auch das räumliche Inventar der Szenerie, scheinen aus einer fernen Zeit zu stammen. Die Szene wirkt wie durch eine milchige Oberfläche hindurch; scheint in einer eigenen fernen entrückten Welt. Auf der Oberfläche sitzt, hockt, schwebt und huscht ein mysteriöses Wesen über die Tafeln, dass im pastos kräftigen Farbauftrag wie ein nicht genau identifizierbarer, jedoch höchst interessierter Besucher wirkt. Mal ruhend, mal wie kurz vor dem Absprung, könnte es auch ein Affe sein der soeben in das Bild eingedrungen ist. Irgendwie kommt uns diese aufgemalte Gestalt fast wie ein in Fabel gewordener Geist vor. Eine rätselhafte Erscheinung, geheimnisvoll und doch von einer ungeheuren Präsenz. Anja Güthoff gelingt es mit dieser ganz eigenen Kombination von Fotografie und Malerei in virtuoser Weise beide Bildebenen – diejenige der zugrunde liegenden Fotografie und die des gemalten Zusatzes – so miteinander zu verknüpfen, dass ein neuer, fantastischer Dialog entsteht. Eine Bilderzählung, die der Betrachter im eigenen Kopf vervollständigen und weiterspinnen kann. Das Gezeigte und das nicht Gezeigte bewahren dabei eine sichere Balance, die Phantasie erhält ihren Raum und dennoch besticht die klare Struktur und Komposition der Arbeit. Zudem spielt das Element von Zeit und Bewegung eine wichtige Rolle für die Dynamisierung dieser Bildfolge, also für den Bewegungsablauf. Am jeweils oberen Bildrand befindet sich ein – an den Ausschnitt einer Schultafel erinnernder – schmaler Balken, auf dem mit Kreide drei verschiedene Zeitan- gaben aufgezeichnet sind: 10.15 Uhr, 10.17 Uhr. 10.22 Uhr. Dadurch bekommt die Darstellung etwas geradezu filmisches. Die Idee vom Fließen der Zeit, vom Versuch sie zu bannen und festzuhalten und zugleich von ihrer Unaufhaltsamkeit, vermitteln sich als ein komponierter Ablauf der mit wenigen klaren stilistischen Mitteln in eine eigene ästhetische Form gebracht wurde.“